Das Handelsblatt Research Institute (HRI) hat seine Konjunkturerwartungen für das laufende und das kommende Jahr für Deutschland deutlich gesenkt. Für 2022 erwarten die HRI-Ökonomen:innen 1,6 Prozent Wirtschaftswachstum, für 2023 nur noch 0,8 Prozent. Vor drei Monaten hatte das HRI noch 2,7 und 2,0 Prozent Wirtschaftswachstum prognostiziert.
„Das Vor-Corona-Niveau könnte zwar Ende dieses Jahres erreicht werden, doch dann fehlen Deutschland noch immer drei Jahre Trendwachstum“, betonte HRI-Präsident Bert Rürup. „Angesichts der fragilen geopolitischen Lage sowie des schon bald beginnenden Alterungsschubs in Deutschland ist ein so starker und beschäftigungsintensiver Aufschwung wie nach dem Ende der Finanzkrise nicht in Sicht“, so Rürup weiter. „Deutschland muss sich auf magere Jahre einstellen.“
Wesentlicher Grund für die Abwärtsrevision sind die deutlich gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise, die die Gewinnmargen der Unternehmen drücken und die Kaufkraft der Verbraucher:innen schwächen. Das HRI geht in seiner Prognose davon aus, dass die Energiepreise auf absehbare Zeit auf dem aktuellen Niveau verharren dürften, da ein baldiges Ende des Kriegs mit Russland nicht absehbar sei, die Sanktionen des Westens also aufrecht erhalten blieben. Im laufenden Jahr dürfte die Inflation in Deutschland daher im Jahresmittel 6,9 Prozent betragen und 2023 aufgrund von Basiseffekten auf 3,2 Prozent sinken. Binnen zwei Jahren käme es also zu einem Preissprung um zehn Prozent.
Ungeachtet der starken Teuerung wird der private Konsum der wesentliche Wachstumstreiber bleiben. Nach Ansicht des HRI dürften sich die Verbraucher:innen allmählich an die höheren Preise gewöhnen und weitgehend zu ihren alten Konsumgewohnheiten zurückkehren, womöglich um den Preis einer geringeren Sparquote. Überdies sorgen die rund 800.000 Flüchtlinge aus der Ukraine für zusätzlichen Konsum. Die kräftige Erhöhung der Renten zum 1. Juli, der Anstieg des Mindestlohns zum 1.Oktober sowie die verschiedenen Hilfen und Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung führen laut HRI dazu, dass die verfügbaren Einkommen spürbar stiegen, beziehungsweise die realen Kaufkraftverluste infolge der Teuerung begrenzt blieben, so dass der Konsum dieses Jahr um 2,7 Prozent und 2023 um ein Prozent zulegen werde. Die Arbeitslosigkeit dürfte laut der HRI-Prognose im Trend weiter sinken, auch wenn sich der Rückgang merklich verlangsamen werde.